Samstag, Juli 16, 2011

The Oldest Man in New York

Kapitel LXIV.
DER ÄLTESTE MAN IN NEW YORK

Fremden, die die "Church of the Ascension" in New York besuchen, kann nicht die Anwesenheit eines alten Gentlemans entgehen, der einen Armsessel direkt unterhalb der Kanzel im Mittelgang eingenommen hat und der sich mit den Bediensteten in einer sehr lauten und auffälligen Weise unterhält. Das ist der vielleicht älteste Mann in der gesamten New Yorker Bevölkerung. Es handelt sich dabei um Captain Lahrbush, ehemals Angehöriger der britischen Armee, aber ein Bewohner von New York. Er wurde am 09. März 1765 in London geboren. Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass sein Leben mehr denkwürdige, unterschiedliche und außerordentliche Erlebnisse enthielt als jedes andere heutige Leben in irgendeiner Ecke der Welt. Er trat seinen Militärdienst für Großbritannien am 17. Oktober 1789 an und kämpfte unter dem Grafen von York mit den "Sixtieth Rifles" in Holland in der Schlacht von 1793. Fünf Jahre später war er zugegen, als Humbert in der Nähe von Pallinauck in Irland gegenüber Lord Cornwallis kapitulierte. 1801 nahm er zusammen mit Lord Nelson an der Eroberung von Kopenhagen teil. In den Jahren 1806 bis 1807 diente er als Attache an der Seite von Lord Castlereagh in Wien; und am 22. Juni 1807 war er Zeuge eines denkwürdigen Gesprächs zwischen Napoleon und Alexander in Tilsit. Während der nächste zwei Jahre begleitete er den Grafen von Wellington auf der spanischen Halbinsel und wurde in Talavera zum Ritter ernannt. Im Jahr 1811 wurde er zum Kap der guten Hoffnung entsandt und spielte eine prominente Rolle im Caffre Krieg von 1813. Als Napoleon in St. Helena in Gewahrsam genommen wurde, wurde Captain Lahrbush mit seiner persönlichen Bewachung beauftragt, da er der Kommandierende Offizier der Garde war, eine delikate und verantwortungsvolle Pflicht, die er über den größten Teil der Jahre 1816-17 hinweg ausübte. Des Militärdienstes überdrüssig gab er im darauffolgenden Jahr seine Stellung bei den "Sixtieth Rifles" auf und kehrte ins Privatleben zurück.  Aber schon bald zog es ihn nach Australien, wo er als Superintendent eine Strafvollzugsanstalt in Cathure leitete. Und im Jahr 1837, im alter von 71 Jahren, zog er weiter nach Tahiti. Von dort aus unternahm er viele Reisen, zum Beispiel nach Ostindien, nach China und in verschiedene Teile von Südamerika. Als er 1842 auf der Seite der protestantischen Missionare gegen die römisch-katholische Propaganda Stellung bezog, wurde er gegen seinen Willen von Tahiti nach Frankreich verschickt und er notzte die Gelegenheit, um den Kontintent zu bereisen. Im Jahr 1847, als er ein Alter von 81 Jahren erreicht hatte, übernahm er die Verwaltung von Lord Howard de Welden's Besitz auf der Insel Jamaika und 1848 kam er schließlich zusammen mit seiner verwitweten Tochter und seinem Enkel nach New York. Sowohl die Tochter als auch der Enkel starben jedoch schon bald nach der Ankunft und hinterließen ihn einsam in seinem fortgeschrittenen Alter. Aber der alte Mann lebte mit uneinbeträchtigter Freude weiter bis in die heutige Gegenwart hinein und erfreut sich eines wirklich wundervollen Zustands köperlicher Gesundheit. Im Jahr 1867 feierte er seinen 101. Geburtstag bei einem Frühstück im Hause eines bedeutenden New Yorker Gentlemans, zu dem viele Militärs und Bürger eingeladen waren, um ihn kennenzulernen. Seine Erscheinung ist die eines rüstigen Manns und wenn man ihm wie in der Kirche begegnet, dann wirkt er jünger als viele andere in der Kongregation. Der erstaunlichste Aspekt , der mit dem langen Leben des alten Gentlemens verbunden ist, ist der, dass er über viele Jahre hinweg Opiumkonsument war, bei einer Gelegenheit nahm er (auch vermutlich eine Über)Dosis Opium zu sich. Obwohl er sich den Drogenkonsum schon lange wieder abgewöhnt hat, ist er sich sicher, dass er einen halben Pint Laudanum trinken könnte, ohne Schaden zu nehmen (Laudanum: opiumhaltige alkoholische Tinktur, im 19. Jahrhundert beliebt). Man sagt, dass sich Captain Lahrbush mit erstaunlicher Frische an Szenen und Ereignisse erinnern kann, die zu den größten und imposantesten der modernen Geschichte gehören und bei denen er Augenzeuge gewesen war. Er spricht von Blucher, der ein guter Kamerad, aber ein schwerer Trinker gewesen war, der schrecklich über Napoleon schimpfte. Er hält Louisa, die Königin von Preußen, für eine der schönsten Frauen ihrer Zeit und Alexander, den Zar von Russland, für den elegantesten Mann in Europa. Und über Napoleon, dessen Gesicht er über eine längere Zeit hinweg hatte studieren können, sagte er, dass es keine Abbildung, die jemals von ihm gemacht wurde, eine angemessene Vorstellung von seiner Erscheinung und seinen Gesichtsausdrücken vermittele. Am nächsten komme dem noch jenes Abbild, das auf den Münzen des Reiches zu sehen ist, vor allem jenes Profil auf den Fünf-Franc-Münzen.

(aus "The Secrets of the Great City" von James Dabney McCabe (1842-1883), veröffentlicht bei Jones brothers & co, Philadelphia und Chicago, 1868)

Dieses Mal bin ich mal entgegen sonstiger Gewohnheiten direkt mit der Tür ins Haus gefallen und habe zunächst auf eine Einleitung verzichtet, die ein wenig Orientierung bietet.

Ich weiss ehrlich gesagt gar nicht mehr, wann genau ich auf diesen Text gestoßen bin, ich glaube aber, dass das ungefähr zu dem Zeitpunkt gewesen sein muss, als ich über das Hotel Windsor und den verheerenden Brand im Jahr 1899, der es zerstört hat, recherchiert habe. Wegen der notwendigen Übersetzungsarbeit habe ich die Veröffentlichung jetzt schon einige Wochen vor mir hergeschoben, aber heute konnte ich mich mal dazu aufrappeln. Zurück zu dem alten Herrn aus dem Text. Zu Captain Lahrbush gibt es nicht nur einen Text, sondern auch ein Gesicht, und das sieht so aus:


Ich habe jetzt auch den Pfad wiedergefunden, über den ich zu dem Text gelangt bin, ein Beitrag aus einem sehr interessanten und noch relativ neuen englischsprachigen Blog, der sich ebenfalls mit New Yorker Geschichte befasst.

Der Autor dort weist zu Recht auf das außergewöhnliche Alter des alten Herrns hin, der zu dem Zeitpunkt, als das Buch veröffentlicht wurde, 103 Jahr alt gewesen sein soll. Und das zu einer Zeit, in der der Durchschnittsamerikaner im Alter von 47 Jahren starb. Er hat noch ein wenig weitergeforscht und ist auf das Todesdatum von Captain Lahrbush gestoßen: er starb am 03. April 1877, das wäre im Alter von 111 Jahren gewesen.

Allerdings kamen schon zu Lebzeiten Zweifel auf, ob der alte Zausel nicht ein wenig geschummelt hatte, was seine Angaben anging. Bereits 1873 wurde ein Buch veröffentlicht, das sich mit der Lebensgeschichte und in einem Teil auch mit dem Alter des Captains befasste. Fazit dort: möglichlicherweise hat der alte Herr seine Lebensspanne ein wenig über das tatsächliche Ausmaß hinaus verlängert und 20 Jahre hinzugefügt. Aber ob er nun mit 111 Jahren starb oder nur mit 91 Jahren, in der damaligen Zeit hatte er ein Leben geführt, das doppelt so lang dauerte wie das der meisten seiner Mitmenschen.

Und zum Abschluss noch eine Stereo Card der "Church of the Ascension" (Himmelfahrtskirche), wie sie vielleicht in den späten 1860ern ausgesehen haben mag. Man findet sie heute noch in Greenwich Village in der Version nach dem Umbau durch McMead, Kim and White in den späten 1880ern.


(aus der Sammlung der NYPL Digital Gallery)

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